"eine Leidenschaft, die Leiden schafft"
Berchtesgadener Land Radmarathon (2010)

"eine Leidenschaft, die Leiden schafft"

Und ich träum weiter

Getreu dem Ötzi-Motto habe auch ich einen Traum: Einmal in die Top Ten fahren. Dass sich dieses Ziel in diesem Jahr nicht realisieren ließ, war bei meinem aktuellen Leistungsvermögen schon im Vorfeld klar. Aus diesem Grund hatte ich auch keine großen Erwartungen an meinen 2. Ötzi und konnte somit auch im Nachhinein nicht enttäuscht werden. Der 228. Platz wird zwar meiner derzeitigen Form gerecht, lässt aber auch für die nächsten Jahre erahnen, wie schwer es sein wird, meinen oben formulierten Traum zu verwirklichen.

Unser Ötzi-Team 2007 bestand aus 3 Fahrern. Martin reiste bereits am Freitag an und ich bin mit Winne am Samstagnachmittag in Sölden eingetroffen. Nach der Sportschau, einem italienischen Büfett und 2 leckeren Stückchen Tiramisu legten wir uns früh schlafen. Ab 4:30 Uhr gingen mehrere Wecker runter und ein Weiterschlafen war somit nicht mehr möglich – schade eigentlich! Nach dem Frühstück rollten wir mit unseren Rädern ohne Umweg in Richtung Startaufstellung. Ab hier trennten sich jedoch unsere Wege, da ich einen Startplatz in der 1. Gruppe zugeteilt bekam. Der Start wurde (wie im letzten Jahr) mit einen Heißluftballon und lauter Musik sehr emotional inszeniert. In diesem Jahr wurde die Startfahne durch einen Fallschirmspringer übergeben, bevor sich dann 4.000 Radbegeisterte bei besten Wetterbedingungen in Bewegung setzten.

2007_oetztaler_radmarathon_051
Winne mit seinem berühmten Fotolächeln

Das Feld wurde zuerst neutralisiert durch das Ötztal geführt, bevor es dann mit hohem Tempo in den Ort Ötz brauste. Die Geschwindigkeit des Pelotons hätte sicherlich ausgereicht um jedes Blitzgerät und jede Radarpistole auszulösen. Hier stand nun einer meiner meist gefürchteten Berge auf dem Programm - das Kühtai. Das schnelle Anfangstempo, eine euphorische Gruppendynamik und nicht zuletzt die ungleichmäßige Steigung des Berges machen es schwierig das passende Tempo zu finden. Im Gegensatz zum letzten Jahr fuhr ich nicht in den Berg, als ob es kein Morgen gäbe. Ich ließ die Spitze von Anfang an ziehen und suchte mein eigenes Tempo. Die für mich zurzeit passende Geschwindigkeit brachte den Nachteil mit sich, dass ich von einem Fahrer nach dem anderen überholt wurde. Egal – ich wollte mich diesmal nicht schon am Kühtai verheizen. Zu frisch waren noch die Erinnerungen an letztes Jahr, als ich am Schluss kaum noch das Timmelsjoch hochkam. Nachdem ich die Passhöhe erreicht hatte, folgte sofort eine rasante Abfahrt. Im letzten Jahr konnte man es bei nassen Straßen noch nicht hundertprozentig krachen lassen, aber in diesem Jahr waren die Bedingungen perfekt. So kam es dann auch zu einer Premiere, ich konnte zum ersten Mal eine dreistellige Geschwindigkeitsangabe auf meinem HAC4 verzeichnen. An einem steilen Teilstück zeigte mein Computerdisplay 101 km/h an! Ich nutzte diese perfekten Abfahrtsbedingungen und machte einige Plätze gut. Im unteren Teil formierte sich dann eine größere Gruppe mit welcher ich gemeinsam nach Innsbruck fuhr.

Von Innsbruck aus stand der zweite und deutlich humanere Anstieg des Tages an, der Brenner. Kurz nachdem wir Innsbruck verlassen hatten fuhren wir auf eine noch größere Gruppe auf. Hier traf ich dann auch mehrere bekannte Gesichter. Da sich die Gruppe auf ein mäßiges Tempo einigte, konnte ich mich mit Hans Miggenrieder während des gesamten Anstiegs unterhalten. Von Ihm erfuhr ich auch, dass eine 30 bis 40 Mann große Gruppe mit den Favoriten vor uns lag. Kurz vor der Passhöhe setzte ich mich an die Spitze dieser großen Gruppe um an der Verpflegungsstation meine Flaschen zu füllen. Die Tempoverschärfung vor der Labe und die anschließende Aufholjagd kosteten mich jedoch einige Körner, aber dafür waren die Flaschen wieder voll.

Von Sterzing aus fuhr die Gruppe noch gemeinsam in die Auffahrt zum Jaufenpass, bevor dann der eigentliche Wettkampf begann. Ich machte mir keine Illusionen und ließ sofort den Großteil dieser ersten Verfolgergruppe ziehen. Meine eigene Geschwindigkeit pendelte sich bei 12-13 km/h ein, welche ich dann auch fast bis oben halten konnte. Da der Jaufenpass sehr gleichmäßig zu fahren ist, konnte man hier auch sehr gleichmäßig seinen Puls halten und sehr gleichmäßig seine Kraft verlieren. Denn selbst meine effiziente und energiesparende Fahrweise konnte mir nicht ersparen, was ich bereits auf den letzten Kilometern vor der Passhöhe spürte: Meine Beine wurden immer schwächer und müder. In diesem Jahr habe ich mir zwar nicht (wie im letzen Jahr) die Lungenflügel aus dem Leib gepustet, aber dafür ließ mich meine Muskulatur allmählich im Stich.

Meine Eltern verbringen zurzeit Ihren Jahresurlaub in Südtirol und wollten die kurze Anfahrt nutzen, um ihren Erstgeborenen (und Lieblingssohn) leiden zu sehen. Am Ortsende von St. Leonhard standen Sie dann auch erwartungsvoll am Straßenrand. Ich hielt kurz an um meine Flasche aufzufüllen und eine kurze Zeit zu verschnaufen. Laut meiner Mutter lag ich zu diesem Zeitpunkt an hundertster Stelle, was mir eigentlich relativ egal war. Nach ungefähr drei Minuten machte ich mich wieder auf den Weg um das zu Recht gefürchtete Timmelsjoch zu erklimmen. Von den 1.750 Metern Höhendifferenz mussten zunächst ca. 1.000 HM bis zur Verpflegungsstation Schönau überwunden werden. Diese Labe war für mich unverzichtbar, da ich zu diesem Zeitpunkt weder Energie aus meinem Körper, noch aus meiner Trikottasche beziehen konnte. Völlig ausgelaugt und mit letzten Kräften kam ich an der rettenden "Oase" an. Eine freundliche Helferin füllte nochmals meine Flasche während ich mehrere Käsebrote verschlang. Nach was Deftigem musste noch was Süßes nachgeschoben werden, was mit drei Stück Kuchen auch geschah – lecker :-) Zum Abschluss gab es noch ein paar Kekse und einen Becher Cola bevor ich mich unter Protest wieder auf mein Rad setzte. Ich musste noch die letzten ca. 600 Höhenmeter bewältigen, bevor ich durch den Passtunnel fahren konnte. Als dies geschafft war, ging es sofort in die Abfahrt und kurz darauf in die Gegensteigung. Nach der Mautstelle ging es jedoch größtenteils nur noch bergab. Als ich nach 8 Stunden und 20 Minuten endlich das Ziel erreicht hatte, war mir meine Erleichterung ins Gesicht geschrieben. An der Zielverpflegung gab es nochmals Cola und ich traf einige bekannte Fahrer, welche sich teilweise schon einige Zeit im Zielbereich aufhielten.

Mit einer sensationellen Zeit von 7 Stunden, 3 Minuten und 37 Sekunden war der Vorjahressieger Emanuele Negrini aus Italien am schnellsten wieder zurück in Sölden und sicherte sich somit den Titel vor seinem Landsmann Corradini und Bert Decker aus den Niederlanden. In der Frauenwertung setzte sich eine Österreicherin durch, Karin Gruber aus Radstadt konnte die italienische Armada in Schach halten und gewann mit einer Zeit von 8 Stunden und 18 Minuten.

Meinen Radkollegen erging es sehr unterschiedlich. Während Martin seine Zeit vom Vorjahr nochmals um 4 Minuten unterbieten konnte, musste Winne mit einem Platten kämpfen. Letztendlich waren wir jedoch am Abend alle froh, dieses Martyrium wieder einmal überstanden zu haben. In der Hoffnung im nächsten Jahr ernsthaft um eine Verwirklichung meines Traumes fahren zu können, beende ich diesen Bericht.

Ergebnisliste (Platz 228 | 08:20:59 h)