"eine Leidenschaft, die Leiden schafft"
Berchtesgadener Land Radmarathon (2010)

"eine Leidenschaft, die Leiden schafft"

Ich habe einen Traum...

Getreu dem Moto hatte auch ich einen Traum, leider zerplatzte dieser wie eine Seifenblase. Mein Traum vom "Ötzi" entwickelte sich während des Rennens mehr und mehr zu einem Alptraum.

2006_oetztaler_radmarathon_019
Urkunde


Tag 01: Freitag, 25.08.2006
Die Anreise

Martin hat mich um ca. 14:00 Uhr in Seibranz abgeholt. Nach dem Verladen ging es über den Fernpass ab ins Ötztal. In Sölden angekommen, bezogen wir sofort unser Hotel. Nach einem Saunabesuch, einem sehr leckeren Abendessen und einem kleinen Spaziergang in Sölden, war dieser Tag auch schon wieder zu Ende.


Tag 02: Samstag, 26.08.2006
Die falsche Vorbereitung

Da wir uns nach dem Frühstück auf keine gemeinsame "Einrolltour" einigen konnten, fuhr Martin 50 flache Kilometer im Ötztal und ich auf der Gletscherstraße zum Tiefenbachferner. Wie sich am nächsten Tag herausstellte, war Martins Tour die bessere Wahl.

Unabhängig von dem bevorstehenden schweren Radmarathon, war meine Gletschertour beeindruckend. Die 1.500 Höhenmeter auf den Rettenbach- und Tiefenbachgletscher kann ich jedem nur weiterempfehlen, vielleicht nicht gerade vor dem "Ötzi". Außerdem befindet man sich am Tunnelausgang zum Tiefenbachferner mit 2.829 Metern auf dem höchsten öffentlich anfahrbaren Punkt der Alpen, zumindest auf befestigter Straße.

Nach einer fälligen Dusche haben wir in Sölden noch etwas gegessen und anschließend unsere Startunterlagen abgeholt. Abends haben wir uns, wie es sich vor einem Radmarathon gehört, früh schlafen gelegt.


Tag 03: Sonntag, 27.08.2006
Das Rennen bzw. der Einbruch

Um 4:45 Uhr ging der Wecker runter und einer meiner qualvollsten Tage begann. Nach einem reichhaltigen Frühstück ging es direkt zur Startaufstellung. Da ich von der Rennleitung einen Platz in der ersten Startgruppe zugeteilt bekam, konnte ich mich relativ weit vorne einreihen. Um mich herum waren fast nur italienische Radfahrer, was man deutlich hören konnte. Pünktlich um 6:30 Uhr erfolgte der Startschuss, welcher durch brennende Fackeln, ein großes Feuerwerk und einen Heißluftballon zelebriert wurde. Ein Feld von ca. 4.000 Radbegeisterten machte sich nun auf den Weg einen der schwersten Radmarathons zu bezwingen.

Zuerst wurde das Rennen neutralisiert durch das Ötztal geführt, aber kurz darauf ging es dann in enger Formation und mit hohem Tempo in Richtung Ötz. Im Ort Ötz angekommen, ging es ohne Gnade sofort rein in den Berg. Das Kühtai ist durch die ungleichmäßigen Steigungen auch bei normalem Tempo nicht einfach, aber das Tempo, welches die italienischen Fahrer vorlegten war der Wahnsinn. Da mir die ersten Berge in der Anfangsphase eines Rennens immer Probleme bereiten habe ich einfach auf die Zähne gebissen und versucht dranzubleiben. Auf halber Höhe kam jedoch schon der Mann mit dem Hammer und ich musste abreißen lassen. Bereits zu diesem Zeitpunkt machte ich mir Sorgen, da ich normalerweise an dieser Stelle noch keine Probleme erwartet hatte. Bei einer der heranfahrenden Gruppen habe ich mich dann wieder eingereiht und bin mit sehr kraftraubendem Einsatz auf die Passhöhe gefahren. Bei der anschließenden regennassen Abfahrt habe ich das Tempo wieder forciert.

Unten im Tal angekommen, hat sich eine recht große Gruppe formiert und auf den Weg in Richtung Brenner gemacht. Als wir durch Innsbruck gefahren sind konnte ich meinen Augen kaum trauen, in der Ferne konnte ich die Führungsgruppe erkennen. Unsere Gruppe hat das Tempo etwas erhöht und wir konnten wieder zur Spitzengruppe aufschließen. Durch die Zusammenführung der beiden Gruppen entstand natürlich eine neue sehr große Führungsgruppe mit über 200 Fahrern. Diese Gruppe blieb dann auch bis zum Brenner zusammen und fuhr laut Veranstalter bis dato einen Schnitt von ca. 40 km/h. Auf der Abfahrt vom Brenner in Richtung Sterzing habe ich, wie die meisten, etwas gegessen und versucht mich zu regenerieren.

Als nächstes folgte, mit einer Höhendifferenz von 1.075 Metern, die Auffahrt zum Jaufenpass. Ich bin den Anstieg relativ optimistisch, man könnte auch sagen zu schnell, angegangen und musste zunächst nur eine kleine Spitzengruppe mit den Profis und Exprofis ziehen lassen. Doch der Optimismus verflog, als ich das Tempo drosseln musste und mich immer mehr Fahrer überholten. Im oberen Drittel hatte ich dann meinen ersten ernsthaften Einbruch, ich konnte trotz mäßigem Puls einfach nicht mehr vernünftig in die Pedale treten. Je steiler es wurde, desto größer wurden auch meine muskulären Probleme. Mit letzter Kraft habe ich mich mit einer kleinen Gruppe hoch gequält. Bei der Verpflegungsstation auf der Passhöhe habe ich eine Flasche Wasser mitgenommen um meinen Wasserhaushalt in Ordnung zu bringen. Somit hatte ich ausreichend gegessen und getrunken. Jetzt konnte ich nur noch auf ein Wunder hoffen, denn es war sehr unwahrscheinlich, dass ich mich nach so einem Einbruch nochmals erholen würde.

Das Wunder blieb aus! Ich bin leider nicht auferstanden, wie Phönix aus der Asche. Bereits nach einem Kilometer am Timmelsjoch wurde mir klar, das Rennen ist gelaufen. Jetzt musste ich mich erstmals mit einer anderen Frage auseinander setzten: Wie komme ich überhaupt wieder nach Sölden zurück? Meine Muskeln verweigerten nämlich sogar bei minimalem Tempo ihre Dienste. Das eigentliche Problem war: Es stand ja nicht irgendein Berg zwischen mir und dem Ziel in Sölden, sondern das gefürchtete Timmelsjoch mit einer zu bewältigenden Höhendifferenz von fast 1.800 Metern. In Schönau (1.400 Höhenmeter) stand Premiere Nr. 1 an, ich habe zum ersten Mal angehalten und mich ausgiebig verpflegt. Wenn man bei 2 Nussini's und 4 Käsebroten noch von einer gewöhnlichen Verpflegung sprechen kann. Auch das Getränk, welches angeblich Flügel verleiht, brachte keine spürbaren Kraftreserven zurück. So quälte ich mich Meter für Meter weiter den Berg hoch. Bei einer Höhe von ca. 2.000 Metern wurde mir dann die zweite Premiere des Tages zuteil: Ich wurde erstmals bei einem Wettkampf von einer Frau überholt. Monia Gallucci, frischgebackene Weltmeisterin aus Italien, fuhr abgeschirmt von zwei männlichen Teamkollegen an mir vorbei. Zu diesem Zeitpunkt war mir jedoch alles egal und ich trat weiter völlig resigniert in meine Pedale. Nur das letzte Quäntchen Stolz ließ mich nicht aufgeben und auf den Besenwagen warten. Nach über 2 Stunden Auffahrt war es dann soweit, ich war tatsächlich auf der Passhöhe des Timmelsjochs angekommen.

Ärmlinge hoch, Jacke zu und ab ging's in die Abfahrt. Es ging jedoch nicht lange bis ich vor der Mautstelle zur Gegensteigung kam. Als ich auch diese mit letzten Kräften gemeistert hatte, musste ich nur noch ins Tal nach Sölden rollen. Überglücklich, das Ziel überhaupt erreicht zu haben, kam ich in Sölden an. Die vielen Zuschauer an der Straße und die reichhaltige Zielverpflegung (Brote, Kuchen, Schokolade etc.) haben meine Stimmung sofort wieder angehoben.

Um auf meine Überschrift zurückzukommen "Ich habe einen Traum" - ich wollte unter die ersten Zwanzig kommen. Mein Körper hat mich jedoch wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt und mir aufgezeigt, dass es physische Grenzen gibt, welche auch mit eisernem Willen nicht zu überwinden sind.

Im nächsten Jahr werde ich mich besser vorbereiten und kurz davor ein paar schwere Wettkämpfe auslassen, denn ich habe einen neuen Traum: Ich möchte in die Top-Ten.

Ergebnisliste (Platz 69 | 08:02:34 h)